„Ich bin entsetzt“: Richter sieht im Colditz-Prozess „gravierende Mängel“ bei Ermittlungen

Bei der Durchsuchung und den Festnahmen von Ralf, Uwe und Andreas N. in Colditz hat der Zoll offensichtlich einige Fehler gemacht. Im Fall von Uwe N. könnten sie sogar Auswirkungen auf die Strafzumessung haben.

Die Frustration über den Verlauf des Colditz-Prozesses, sie ist Andreas Stadler seit Langem anzumerken. Etwa wegen Akten-Nachlieferungen, die die Staatsanwaltschaft mit fehlenden Kapazitäten, vor allem in der Kriminaltechnik, entschuldigte. Doch Stadler, Vorsitzender Richter der 6. Strafkammer des Landgerichts Leipzig, wies trotzdem darauf hin, dass es so nicht weiter gehen könne, stellte sogar die Aussetzung des Verfahrens in Aussicht.

Am 5. Prozesstag spricht Stadler im Saal 115 über „gravierende Mängel“ im Verfahren gegen Ralf N., dessen Söhne Andreas und Uwe. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen bandenmäßigen Drogenhandel vor. Stadlers Einschätzung basiert auf den Ermittlungsakten aber auch auf den Aussagen mehrerer Zollbeamter, die im Frühjahr dieses Jahres Grundstücke und Wohnungen der Familie N. durchsucht und dabei 5,4 Kilo Crystal Meth gefunden hatten, dazu Waffen und mehrere Tausend Euro Bargeld.

Es geht um einen Durchsuchungsbeschluss, der nicht auf die Wohnung von Andreas N. ausgestellt war – aber trotzdem zu deren Durchsuchung geführt hat. Sehr viel schwerer wiegt für Stadler aber die Tatsache, „dass alle Angeklagten vorläufig festgenommen worden sind, ohne, dass (…) hierfür eine Rechtsgrundlage bestand“.

Umgang bei Durchsuchungen hat Auswirkungen auf das Strafmaß

Reingehen, durchsuchen, gucken, was sich so findet, so hatte die Zollamtsrätin Franziska S. das Ziel der Razzien beschrieben. Ob sie einen der Männer festnehmen, sollten die Ermittler situativ entscheiden. Ralf, Andreas und Uwe N. wurden jedoch bereits Handschellen angelegt, als noch völlig unklar war, ob und was die Ermittler bei ihnen finden. Im Fall von Andreas N. sieht Andreas Stadler das Vorgehen nicht ganz so kritisch, weil Zollfahnder in dessen Keller auf mehrere Kilo Crystal Meth stießen.

Der Umgang der Beamten wird möglicherweise auch Auswirkungen bei der Strafzumessung haben. Wegen bandenmäßigen Drogenhandels in einem minderschweren Fall droht Ralf N. eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren und vier Monaten, den beiden Brüdern bis zu drei Jahren und drei Monate. Wegen seiner Vorstrafe hatte Andreas Stadler Uwe N. ursprünglich eine höhere Strafe in Aussicht gestellt. Doch der sei im Zuge der Durchsuchungen „besonders entwürdigend“ behandelt worden, so Stadler. Beamte hatten vor Gericht geschildert, wie sie dessen Wohnungstür mit einer Ramme aufgebrochen hatten. Die Freundin von Uwe N. lag im Bett, er selbst stand nackt vor der Couch, musste sich auf den Boden legen. Seine für das Protokoll wohlüberlegten Ausführungen beendet Andreas Stadler mit einem kurzen emotionalen Ausbruch: „Ich bin entsetzt“, sagt er, schüttelt kurz den Kopf.

Urteil könnte am 1. Dezember fallen

Die Verteidigung zog anschließend einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurück, verzichtete auf eine weitere Befragung von Franziska S., der Zollamtsrätin, die zuvor über die Durchsuchungen gesprochen hatte – aber auch darüber, wie der Zoll eigentlich auf Ralf, Andreas und Uwe N. gekommen war. Offenbar hatte eine Vertrauensperson den Tipp gegeben, dass die Familie N. über einen Schrotthandel in Rochlitz Drogen aus dem Ausland einschmuggeln soll.

Das Gelände wurde per Video überwacht, später die Telefone von Ralf N. und dessen Söhnen abgehört. Die Gespräche und Nachrichten zwischen den drei Männern und potenziellen Abnehmern seien verklausuliert gewesen, so S. Sie zitiert Nachrichten, in denen es um Fleisch, Felgen oder auch noch zu waschende Wäsche gegangen sei. Im März 2023 hatten dann Ermittler das Auto eines mutmaßlichen Mittelsmanns kontrolliert. Dabei fanden sie mehrere Tüten Crystal Meth. An einer sollen sich Spuren von Uwe N. befunden haben.

In den nächsten Wochen sollen Ralf, Andreas und Uwe N. die Möglichkeit haben, sie noch mal zu den Inhalten der Telefonüberwachung zu äußern. Das Urteil könnte am 1. Dezember fallen.


MDR

Landgericht Leipzig  – Überraschende Wende: Geringere Strafen für Colditzer Drogenbande erwartet

Seit Ende September müssen sich ein Vater und seine beiden Söhne vor dem Leipziger Landgericht verantworten. Bei einer Razzia im März in Colditz hatte der Zoll bei ihnen mehr als fünf Kilogramm Crystal im Wert von einer halben Million Euro gefunden, zudem eine Cannabisplantage mit rund 2.600 Pflanzen, sieben Waffen und 32.000 Euro in bar. Am Montag gab es im Prozess eine überraschende Wende.

Im Prozess gegen eine Familie aus Colditz wegen bandenmäßigen Drogenhandels und unerlaubten Waffenbesitzes können die Angeklagten mit milderen Strafen rechnen. Der Vorsitzende Richter am Landgericht Leipzig räumte „gravierende Mängel“ beim Ermittlungsverfahren ein.

Anwalt erhebt schwere Vorwürfe wegen Razzia

Bei der Fortsetzung des Prozesses am Montag kritisierte der Verteidiger von Ralf, Uwe und Andreas N. die Vorgehensweise bei den Durchsuchungen durch Zoll und Polizei. Demnach seien die Durchsuchungsbescheide fehlerhaft und die Umstände menschenunwürdig gewesen. So sei der Angeklagte Uwe N., einer der beiden Söhne, nackt in seiner Wohnung festgenommen worden, so die Kritik.

Der Vorsitzende Richter kam nach Informationen von MDR SACHSEN nach einem Gespräch mit allen Beteiligten ebenfalls zu dem Schluss, dass es im Ermittlungsverfahren „gravierende Mängel“ gab. Dem Beschluss, die Angeklagten vorläufig festzunehmen, habe die Rechtsgrundlage gefehlt. Das Gericht bleibe zwar bei der Einschätzung, dass es sich um einen bandenmäßigen Drogenhandel in nicht geringer Menge handele. Doch laut Gericht komme nunmehr der Strafrahmen des jeweiligen minderschweren Falles in Betracht.

Niedrigere Haftstrafen als von Staatsanwalt gefordert

Das bedeutet: Den 66 Jahre alten Vater Ralf N. könnte mit dem noch ausstehenden Urteil eine Freiheitsstrafe von maximal vier Jahren und drei Monaten erwarten. Seinen Söhnen Uwe und Andreas droht demnach eine maximale Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Die Staatsanwaltschaft hatte für den Vater sechs Jahre Haft gefordert und für die Söhne dreieinhalb Jahre und viereinhalb Jahre Gefängnis.

Seit September 2023 läuft der Prozess. Der Familie wird bandenmäßiger Drogenhandel und illegaler Waffenbesitz vorgeworfen. Eine große Menge an Crystal, eine Cannabisplantage, Waffen und viel Bargeld war bei einer Razzia im März in Colditz bei Leipzig gefunden worden. Mehr als 200 Einsatzkräfte vor allem vom Zoll hatten alles beschlagnahmt. Nach MDR-Recherchen soll die Familie zudem einem rechtsextremen Netzwerk angehören. Ihre möglichen Verbindungen zum Rechtsextremismus sind nicht angeklagt.